Im Zeitalter der Digitalisierung sind Archive die Goldminen der Zukunft.
Schon die Anschrift deutet darauf hin, dass es sich um keine repräsentative Adresse, sondern eine Randerscheinung handelt: An den Steinfeldern 4A. Steht man dann aber einmal im Lager Liesing – einer für den gemeinen ORF-Mitarbeiter seit jeher ominösen Adresse am Rande Wiens -, ist man doch beeindruckt. Darüber, was sich hier alles so ansammelt, was am Küniglberg oder in der Argentinierstraße (besuchen Sie das Funkhaus, solange es noch steht!) keinen Platz mehr hat. Oder ausgemustert wurde. Von technischen Antiquitäten bis zu Tonnen von Aktenordnern mit Sendungsmanuskripten, Schriftverkehr und Schaltplänen: ein gefundenes Fressen für Archivare. Auch die Sendetechnik hat dort ihren Standort.
Was hat mich dorthin verschlagen? Der Ruf von Frau Magister Petri, die das Dokumentationsarchiv Funk leitet. Eine Einrichtung zur Erforschung der Geschichte des Funkwesens und der elektronischen Medien, wie die Eigendefinition lautet. Es ist ein gemeinnütziger, oberflächlich betrachtet leicht wunderlicher Verein, vom großen Bruder ORF lange geduldet, mittlerweile aber auch freundlich beherbergt. In eben jenem Lager Liesing. Begonnen hat alles in einem kleinen, fensterlosen Kammerl am Küniglberg, wo Wolf Harranth – kürzlich verstorbener Kinderbuchautor, Amateurfunker und Mitarbeiter des 2003 eingestellten Kurzwellensenders Radio Österreich International – allerhand Zeug hortete. Amateurfunker sind ja ein eigenes Völkchen.
Man gestand Professor Harranth im Lauf der Jahre zu, die Sammlung von Tonbändern, QSL-Karten und sonstigen Funk-Memorabilia zu pflegen und zu erweitern. Wohl auch, weil das ORF-Archiv und die Österreichische Mediathek, die staatliche Audio- und Video-Dokumentation, damit überfordert wären. Heute hortet man neun Millionen Objekte. Freilich musste der Verein weichen, als Dominik Heinzl eine Heimstätte für seiner TV-Sendung „Chili“ suchte – der allerdings kein langes Leben beschieden war. Seitdem residieren die Doku-Funker in der Expositur am Stadtrand.
Der Spürsinn des Teams um die Archivleiterin Petri ist jedenfalls ein gewaltiger. Ich hatte in einem Facebook-Eintrag beiläufig erwähnt, dass ich noch viele Kassetten mit „MusicBox“-Mitschnitten hätte, jener legendären Ö3-Sendung, die über Jahrzehnte zweifellos ein wesentlicher Durchlauferhitzer der Jugend- und Popkultur in Österreich war. Und, zack!, schon landete ein E-Mail im Postfach, ob ich denn die Kassetten nicht zur Verfügung stellen wolle. Man werde sie digitalisieren und interessierten Nachhörern und -hörerinnen gerne zur Verfügung stellen. Wenn Sie mich fragen: Frisch aufbereitet, ließen sich damit auch in heutigen On-Demand-Kanälen historische Einblicke sondergleichen eröffnen. Der ORF sitzt, oft ohne es zu wissen, auf einer prall gefüllten Schatzkammer.
Mir kam der Gedanke, weil gerade der Unterhaltungsgigant Universal Music an die Börse gegangen ist. Sehr ertragreich übrigens. Den Wert seines Repertoires bestimmen weithin nicht die kurzlebigen und teuer erkauften Hits der Gegenwart, sondern der „long tail“, also Aufnahmen, in die vor Dezennien investiert wurde. Irgendjemand hatte den Instinkt, die Originalbänder und die Rechte daran nicht auf den Müllhaufen der Geschichte zu kippen. Das nenn’ ich Weitblick.
Walter Gröbchen ist Label-Betreiber (www.monkeymusic.at), Musikverleger und Autor in Wien.
Mehr Kommentare und Kolumnen auf seinem Blog groebchen.wordpress.com
Quelle: wienerzeitung.at