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Liesing: Energie aus dem Kanal

Wien Kanal zeigt mit zwei Pilotprojekten, wie Abwasser zur alternativen Energiequelle werden kann.

Kaum ist die Spülung gedrückt oder das Geschirrspülwasser im Abfluss verschwunden, ist das Schmutzwasser vergessen. Das Abwasser fließt aber nicht nur durch das dunkle Kanalsystem, um in einer Kläranlage gesäubert zu werden, sondern birgt auch ungeahnte Schätze. Es ist genauso Informationslieferant – wie die Messungen der Corona-Virenlast zeigen – wie Energieerzeuger. Letzteres funktioniert über das Prinzip des Wärmetauschersystems, das sich die Temperatur des Abwassers zunutze macht, um sie in Energie zu verwandeln. Wien Kanal hat seine beiden Anlagen am Standort Liesing mit dieser Technologie ausgestattet.

Angenehmes Raumklima dank Abwasser

 

Das Wärmetauschersystem funktioniert nach der Logik, Wärme oder Kälte aus der Umgebung abzuziehen und so Energie zu erzeugen. Der Kanal wurde zu diesem Zweck auf einer Strecke von 76 beziehungsweise 109 Metern mit Edelstahlpaneelen ausgelegt. „Die Paneele sind doppelwandig. Wie zwei ineinandergelegte Dachrinnen. Auf der oberen Dachrinne fließt das Abwasser. Zwischen den zwei Blechplatten fließt auch Wasser in einem eigenen Kreislauf“, erklärt Josef Gottschall, Pressesprecher von Wien Kanal und Impulsgeber des Projekts.

Das durch das Abwasser erwärmte oder abgekühlte Wasser fließt dann ins Haus und wird über eine Wärmepumpe komprimiert, um die gewünschte Temperatur zu erreichen. Ähnlich wie bei einer Fußbodenheizung fließt das erwärmte oder abgekühlte Wasser über kleine Wasserleitungen durch das Gebäude. „Es ist ein trägeres System als beispielsweise bei einer Klimaanlage, aber es sorgt für eine angenehmere Kühle, bei der man sich nicht erkältet“ so Stefan Smudits, der eines der beiden Projekte leitet.

Energieeffizient ist das System deshalb, weil die Temperaturen des Abwassers, die im Sommer nicht mehr als 22 Grad und im Winter nicht weniger als elf Grad erreichen, für Kühlung und Heizung genutzt werden. Somit ist nicht die volle Energie nötig, um auf die gewünschte Temperatur zu kommen. Es muss nur die Differenz überbrückt werden. Dennoch braucht es Strom für die Wärmepumpe.

Bei der neueren der beiden Anlagen von Wien Kanal kommt dieser Strom aus einer Fotovoltaikanlage. „Die Energieausbeute kann um das Vier- bis Fünffache ihres eigenen Stromverbrauchs gesteigert werden“, sagt Smudits.

Der Klimagedanke und die Sicherstellung erneuerbarer Energie begleiten Wien Kanal in der Planung schon seit Jahren. „Wir sind es gewohnt, in Generationen zu planen. Wenn wir heute ein Abwassersystem für eine Stadterweiterung bauen, dann denken wir nicht in Fünf- oder Zehnjahresschritten, wir müssen 30 bis 50 Jahre vorausschauen. Wir müssen überlegen, wie entwickelt sich die Stadt.“

 

Die Parameter müssen stimmen

 

So vorteilhaft das System der Energiegewinnung aus Abwasser auch ist, es kann trotzdem nicht flächendeckend in der ganzen Stadt umgesetzt werden. „Es müssen viele Details zusammenpassen und auch die Errichtungskosten berücksichtigt werden, wenn das Vorhaben effizient sein soll“, sagt Gottschall.

Sinnvoll ist ein solches Vorhaben nur, wenn eine Abwassermenge von mindestens 150 Liter pro Sekunde, eine gewisse Fließgeschwindigkeit, die komplette Abdeckung der Paneele mit Wasser und die Nähe des Kanals zum Gebäude gegeben sind. Jedes einzelne Projekt muss sehr genau begutachtet werden. „Wenn die Parameter für die Nutzung alle passen, ist es ein tolles System“, sagt Gottschall.

In Wien wurde das Wärmetauschersystem sonst bisher nur bei den Kometgründen, einem Bauprojekt in Meidling, umgesetzt. Laut Wien Energie sind auch ähnliche Projekte bei der Therme Oberlaa und der Kläranlage in Simmering geplant. Auch in Innsbruck und Amstetten gibt es schon ähnliche Energie-Initiativen. 2008 wurde sogar das Olympische Dorf in Peking mit dieser Technologie geheizt.

Begonnen hat alles mit einem Zeitungsartikel über Uhrenfabriken in Glashütte in der Schweiz“, sagt Gottschall. Dort wird das Wärmetauschersystem im Abwasser schon seit vielen Jahren genutzt. Der Bericht über dieses System inspirierte den Wiener Ingenieur, das Pilotprojekt bei Wien Kanal in die Wege zu leiten. Das erste wurde schließlich 2006 errichtet.

Die Erfahrungen aus der Anfangsphase habe man bei der Errichtung der zweiten Anlage, die kurz vor der Fertigstellung steht, einfließen lassen und weiterentwickeln können. So werden nun die Decken und Wände aus Stahlbeton zur Temperaturregelung genutzt und eine Fotovoltaikanlage liefert die restliche Energie zu.

Smudits erarbeitete dieses Jahr gemeinsam mit dem Österreichische Wasser- und Abfallwirtschaftsverband einen Leitfaden zur Energiegewinnung aus Abwasser. Die Technologie wurde erst 2018 von der EU als erneuerbare Energie eingestuft. Die entsprechende Richtlinie und der erarbeitete Leitfaden dienen dem Bundesministerium für Klimaschutz nun als Grundlage zur Förderung ähnlicher Projekte. Sie sind ein weiterer Puzzlestein auf dem Weg zur Klimaneutralität.

Der Kanal ist mit Edelstahlpaneelen ausgelegt.© Wien Kanal

Quelle: wienerzeitung.at

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Bezirk Liesing - der Bezirk im Süden von Wien

Liesing ist der 23. Wiener Gemeindebezirk. Er entstand 1938 als 25. Wiener Gemeindebezirk durch den Zusammenschluss mehrerer zuvor selbständiger Gemeinden und besteht in seiner jetzigen, verkleinerten Form seit 1954/56